Nach vielen Jahren in Schweden und unter anderem auch als Leiter der orthopädischen Studentenausbildung an der größten Uniklinik Skandinaviens stecken tief in meinem Inneren nun zwei schlagende Herzen, wenn es um die Art von Wissensvermittlung geht.
Den meisten ist die deutsche Methode klar: Der Schüler muss als unfähig dargestellt werden, der Lehrer beweist ohne Unterbrechung an Hand der Wissenslücken des Schülers, wie weit oben auf der Leiter der Lehrer steht. Dem Schüler wird natürlich keine Chance zur Aufarbeitung bzw. Wissenssammlung gegeben, der Schüler steht am besten noch in Konkurrenz zu anderen bzw. lebt mit dem ständigen Wunsch „lass heute einen anderen dran sein“.
Bis man irgendwann doch seine Schritte auf der Leiter getan hat und nun selbst nach härtesten Methoden siebt und nach unten tritt.
Wer in diesem System versagt, ist schwach – hat auch eigentlich dort gar nichts zu suchen, dies bekommt man regelmäßig von den Ausbildern zu hören.
Wer übrigens dies für ein rein männliches Problem hält, sollte sich noch einmal genau anschauen, wie z.B. Frauen in der Krankenpflege miteinander umgehen.
Die schwedische Methode: Das System beruht auf dem Handledning, einfach übersetzt, dass ich den Lernenden an der Hand durch die zu erkundende Welt leite. Ich zerre nicht wie die typisch deutschen Eltern an ihren Kindern, ich lasse aber auch nicht die Hand los und das Kind verliert sich irgendwo auf dem Weg. Ich leite das Kind zielgerichtet auf seinem Weg. Auch der Vergleich Kind=Schüler hätte keinen negativen Beigeschmack beim „Handledning“. Kinder sind durchaus im schwedischen System etwas Gutes und Positives. Nicht zu vergleichen mit den in Deutschland vermitteltem Kinderbild.
Wie sieht das Ganze nun in der Praxis aus, d.h. warum kann ich im deutschen System von solchen Kenntnissen profitieren?
Dazu muss ich 2 Sätze lang abschweifen und eines klarstellen: In beiden Systemen bin ich auf Abweichler getroffen, in Deutschland auf sehr gute Lehrer, in Schweden auf vollkommene Idioten. Es geht hier um den Durchschnitt. Zurück zum Thema:
Ich profitiere auch im deutschen System enorm von einer positiven Grundstimmung beim Lernen und beim Lehren.
Die meisten Schüler sind um Welten mehr motiviert und interessiert, als viele Lehrer oder Ausbilder es darstellen. Lasse ich mich auf diesen positiven Grundgedanken ein, dann kann ich auch dem Schüler regelmäßig Aufgaben und Tätigkeiten übertragen. Und mit steigendem Umfang und Schwierigkeitsgrad. Diese Aufgaben werden in der Regel alleine und selbstständig ausgeführt.
Vielleicht kritisch und zu Hinterfragen bei den Höhenrettern der Feuerwehr, sicher aber durchaus denkbar bei Rettungsdienstlern, die ihre theoretische Ausbildung abgeschlossen haben.
Beispiel Rettungsdienst:
Der alte Hase zieht sich zurück, bereitet auch mal ohne Kontrolle des Lehrlings seinen Teil bei der Patientenversorgung vor – der „Neue“ kämpft sich durch. Fragen ist immer erlaubt – wie Fragen beantwortet werden, wird unten beschrieben.
Fehler werden ja gerade nicht sanktioniert – Fehler werden besprochen und diskutiert. Es MUSS verstanden werden, warum Fehler passiert sind. Oder warum der alte Hase eingegriffen hat. All dies ist nicht unter einem negativen Aspekt zu sehen – Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Wer aber angstfrei seine Fähigkeiten erprobt, kann seine Gedanken frei und offen der Situation widmen.
Um das Thema kurz zu halten, der Lehrende / Handledare / Praxisanleiter behält den Überblick, steuert nur minimal, d.h. greift eigentlich nicht ein und hält sich im Hintergrund.
Wenn Fragen durch den Schüler entstehen, gibt es eine spezielle Art des Gegenfragens, welche ich mangels meiner Ungeduld auch nie perfekt beherrscht habe.
Zum Beispiel in der Medizin: Der Student hat einen Patienten mit einer eventuell gebrochenen Hüfte getroffen. Es gib ein Röntgenbild, aber noch keinen Befund. Deutsche Methode: Ausbilder sagt: „Ist ’ne Fraktur, sieht man hier. Musst’ also zur Operation anmelden. Kannst Du eh nicht, mach ich Dir jetzt. Vielen Dank.“
In Schweden wäre es eher: Aufrufen des Röntgenbildes / „Was siehst Du denn auf dem Bild?“ (Datum / Patientennummer / Aufnahmetechnik / Welcher Körperteil / nachzeichnen der Konturen mit dem Finger / die meisten Studenten haben dann selbst die Fraktur gefunden) / bezeichnen der genauen anatomischen Region / Zurückerinnern an den Kurs und die OP Techniken / Student wählt entsprechende Methode aus und die Codes werden herausgesucht und dann gemeinsam (Login nur durch Ärzte) im OP Programm gemeldet. Das dauert sicher seine 5 Minuten – am Ende kann der Student aber alle Schritte einzeln nachvollziehen, versteht, warum er welchen Schritt macht und arbeitet mit den nächsten Patienten selbstständig.
Macht sich der zeitliche Mehraufwand bezahlt? Ich denke schon.
Wer jetzt aber denkt, die Schüler hätten weniger Stress, der liegt falsch. Aber dazu in einem späteren zweiten Teil.