Kommentar zur Diskussion über Immobilisierung oder Immobilisation durch HWS Stütze, KED und Spineboard bei der technischen Rettung
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In der letzten Zeit bin ich ein paar Mal über Diskussionen zum Thema Immobilisation bei Trauma Patienten gestossen. Bereits früher wurde ein Standard-Vorgehen mit HWS oder „total Spine Immobilisation“ in Frage gestellt. Nun muss ich einfach mal meinen Senf dazu geben, gerade für die, die anfangen an diesem Vorgehen zu Zweifeln:
1. Der Vorteil an einem Standard Prozedere ist, dass man nicht Zeit durch Nachdenken verliert. D.h. arbeite ich gemäß ATLS, dann lagere ich den Trauma Patienten stabil und bewegungssicher. Am weitesten ist das Spineboard verbreitet, doch selbst die Vakuum Matratze ist nicht ausgeschlossen im ATLS Schema. Somit hat man am Patienten die best mögliche Sicherung durchgeführt. Ein KED System ist nicht verpflichtend erwähnt. Es geht einfach darum, dass der Patient mit einer Auswahl an bekannten Hilfsmitteln IMMER zum bewegungsfreien Liegen gebracht wird. Ohne Diskussion oder Untersuchung am Unglücksort und Bewertung, ob dieses Vorgehen nötig ist. Ob ein KED System bei der technischen Rettung nun Vorteile bringt muss in anderen Studien geklärt werden und ist ein ganz anderer Themenbereich.
2. Das Risiko von Dekubitus, Drucknekrosen oder Lagerungsschäden auf harten Spineboards ist existent und muss durch schnelle Abläufe in der Notaufnahme verhindert werden. Lange Wartezeiten bis zur Röntgen Untersuchung können nicht Schuld des Vorgehens sein. Der Zeitverlust beim Umlagern Rettungsdienst auf die Untersuchungsliege ist durch entsprechende Technik der Durchführung nur minimal im Sekundenbereich. Lediglich das Erlernen der richtigen Technik kostet Zeit, aber auch die Ausbildung an entsprechendem Gerät (Aufklappen des Spineboards zur Seite hin ohne Öffnen der Bein- / Bauch- / Kopfgurte) ist in einem modernen Rettungssystem obligat. Dass man Geräte verwendet, die man nicht beherrscht, welche an anderen Orten aber fehlerfrei funktionieren, ist ein Anwenderproblem und kein Fehler im Ablauf. Gleiches, wenn verschlissene Geräte weiterhin verwendet werden und die Öffnungsmechanismen unter Belastung nicht funktionieren. Je mehr die Geräte täglich verwendet werden, desto mehr Verschleiss tritt auf. Desto mehr Kritik am Gerät wird laut.
Die weitere Lagerung des Patienten z.B. in Erwartung der stabilisierenden Operation findet ohnehin in entsprechenden Krankenhausbetten statt. Nichts spricht also gegen das Anwenden solcher Betten nach der CT Untersuchung. Hierbei handelt es sich um ein reines Organisationsproblem der Krankenhäuser, wenn Zeitverluste zu Lagerungsschäden führen.
3. Ist gibt wohl eine Vergleichsuntersuchung (1), dass gesunde Probanden ein Auto wirbelsäulengerechter verlassen können als mit Rettungspersonal und technischer Hilfe. Was soll mir das sagen? Das Risiko ist geringer, wenn man gesund ist? Es gibt genügend Beispiele aus dem klinischen Alltag, wo bei Untersuchungen in Narkose eine Halswirbelsäulenverletzung auftrat. D.h. unkontrollierte Kopfbewegungen sind gefährlich. Und genau gegen diese Bewegungen muss man schützen. Es ist ohne Zweifel so, dass ein wacher und kooperativer Patient mit in die Rettung einbezogen werden kann und dass die Retter vor Ort das Spektrum aller Rettungsmethoden beherrschen müssen. Also auch das Auffordern des Patienten zur „Bauchpresse“ und damit Stabilisierung des Rückens. Immer nur „Dach ab“ beim PKW Unfall kann nicht die Lösung sein. Die Kenntnis dieser Studie hilft jedoch nicht beim Betrachten genau der Gruppe, die eine Risikokohorte für Wirbelsäulenverletzungen darstellt. Nämlich Schwerverletzte mit Beeinträchtigung ihrer motorischen Funktion oder der Compliance.
(1) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23079144
4. Hirndrucksteigerung durch HWS Stütze (z.B. Stiffneck): Ohne Zweifel kann durch Druck auf die Halsvenen der Hirndruck steigen. Dies ist ohne Diskussion nachteilig, wenn der Patient bereits ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) erlitten hat. Allerdings: Es geht hier um den Patienten mit unbekanntem Verletzungsmuster. Gerade bei schwerem SHT (oftmals deutlich sichtbar durch äußere Schäden oder Verletzungen respektive klinisch nachweisbar) ist das Risiko einer versteckten Wirbelsäulenverletzung als Begleitverletzung hoch, da ja eine adäquate Energie auf den Schädel eingewirkt hat. Im Standard Vorgehen mit HWS Immobilisation werden also genau diese Risiko Patienten adäquat und fehlerfrei behandelt. Bis zum Ausschluss der Wirbelsäulenverletzung mittels CT oder klinischer Röntgen Untersuchung (2) kann man auf keinen Fall auf eine adäquate Immobilisation verzichten.
Die Diskussion über die Hirndrucksteigerung ist müßig und klinisch völlig unnütz, so lange ich bei adäquatem Trauma die Verletzung der Wirbelsäule nicht ausgeschlossen habe und auch nicht kann.
(2) Funktionsuntersuchungen oder MRT in Absprache mit Wirbelsäulenchirurgie bei Verdacht der Bandinstabilität nach CT Untersuchung. Je nach Ausstattung der radiologischen Klinik und Verletzungsmuster
5. Schussverletzungen und Stichverletzungen stellen insofern eine Ausnahme dar, da mit starken Blutungen zu rechnen ist und entweder die Patienten stabil die Notaufnahme erreichen oder aber hochgradig instabil sind. Dass man bei bei instabilen Patienten keine Sekunde verlieren sollte, steht hier nicht zur Diskussion. Und wie auch in allen Studien bestätigt, sollte bei stark blutenden Schussverletzungen nicht die Immobilisation an erste Stelle stehen, sondern der schnelle Transport in ein Zentrum mit Möglichkeit der lebensrettenden Maßnahmen (3). Oder aber der Patient ist so stabil, dass eine HWS Stabilisierung und Flachlagerung einen nicht bedrohlichen Zeitverlust darstellt. Wobei man sich dann wieder schnell in der Bereich der Spekulation und Bewertung begibt und das standardisiere Vorgehen verlässt. Dieses Thema ist auch im ATLS Kursbuch erwähnt, in der Kriegsmedizin bei Schussverletzungen wird daher die ABC Reihenfolge auch in C-AB geändert. D.h. ein Blutungsproblem lösen VOR allen anderen Maßnamen.
(3) http://www.trauma.org/archive/atlas/clamshell.html
6. Canadian C-spine Rule: Ein Score zur Berechnung, wann eine HWS Immobilisation nicht nötig ist. Anders herum gedacht: Wann man die HWS Immobilisation anwenden sollte. Also steht aber immer noch die Frage im Raum, schadet die Verwendung von HWS Stützen, wenn der Score nicht zur Anwendung rät? Nein, es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis, ausser dass man „überbehandelt“, aber ohne Folgen für den Patienten. Der Score ist natürlich auch so gelegt, dass es oft zur Überbehandlung oder Overtreatment kommt.
Fragt man Patienten als ersteintreffende Kraft, ob sie Missempfindungen spüren, dann liegen in der Majorität der Fälle diese vor. Bedingt durch hohe adrenerge Reaktionen sind z.B. eine hohe Schmerztoleranz beschrieben, Agitation, Verwirrtheit , usw. Damit weicht ein streng durchgeführtes GCS häufig ab.
Eine weitere Frage ist offen, nämlich wann im zeitlichen Ablauf entscheidet der Rettungsdienstler am Unglücksort, auf eine Mobilisation zu verzichten und wie viel Zeit wird dabei verloren, wenn bei Erreichen von Punkt 3 im Score die HWS Rotation eingeschränkt erscheint. Oder wenn nach dem Transport eine zunehmende HWS Rotationseinschränkung auftritt. Wird dann der Transport abgebrochen und die Stütze angelegt? Hier würden mir einige Kommentare von Anwendern sicher weiter helfen.
Warum kommt immer wieder eine solche unsinnige, sicher auch für manche Patienten schädliche Diskussion auf?
Ich denke, Veröffentlichungen erreichen nur ein bestimmtes Bekanntheitsniveau, wenn sie bahnbrechende, neue Errungenschaften präsentieren. Bestätigt und bestärkt man Altbekanntes oder ruft man dazu auf, sich intensiver mit der Materie zu beschäftigen (mehr Ausbildung am Spineboard und Vakuum Matratze ), ist das Feedback meist nur sehr gering. Niemand lädt sich m.E. gerne Mehrarbeit auf.
Ich rate dazu, immer vorsichtig zu sein, wenn man an Hand von Veröffentlichungen dieser Art gleich sein ganzes Vorgehen ändert. Besser ist es, ein Thema aufzugreifen, kritisch zu hinterfragen oder den Teil sich heraus nimmt, der das eigene Handeln bestätigt. In dieser Studie z.B., dass Gesunde ein Fahrzeug Wirbelsäulen gerecht verlassen könne. Also der Patient nachgewiesenermaßen in die Rettung integriert werden kann.
Ausserdem muss beachtet werden, dass dieser Review mehrere andere Reviews zitiert. D.h. es wird bestätigt, was schon vorher bestätigt wurde. Also ohne neue, wissenschaftliche Ergebnisse.
In diesem Sinne, weitermachen mit dem, was man beherrscht. Aber ohne Zeitverluste in der Patientenversorgung. Und genau das ist es, was für den instabilen Trauma Patienten weiterhin das Hauptproblem darstellt: Zeitverlust durch Momente des Stillstands in der Versorgung, wenn doch jede Minute zählt.
Frank Eisenblätter, Department of Orthopaedics, Sahlgrenska University Hospital Gothenburg/Mölndal, SE-431 80, Mölndal, Sweden.